Das Jagthaus am Werbellinsee

Das Jagthaus am Werbellinsee

Das Jagthaus am Werbellinsee

Von Friedrich v. Zglinicki (Ein Artikel aus der Zeitschrift Deutsches Weidwerk, Heft 19 aus den Jahr 1927)

„Ach bitte, Herr Hegemeister, wo ist denn hier das Jagdschloss von Hindenburg?“ – „Jagdschloss Hindenburgs? – Jagdschloss? Das kenne ich nicht!“ und achselzuckend muß er den ihn mit Fragen bestürmenden Sonntagsausflüglern den Rücken kehren. Denn ein Jagdschloss hat der Reichspräsident nicht hier in der Schorfheide. Es ist ein einfaches Blockhaus, das vom Staat dem Oberhaupt des deutschen Reiches zur Verfügung gestellt wurde. Es ist von Berlin aus bequem zu erreichen und liegt mitten in dem schönen und großen ehemaligen Jagdrevier des Kaisers. Stundenweit dehnt sich hier der große Forst mit herrlichen alten Nadel- und Laubholzbeständen. Zwischen sanften Hügelketten ziehen sich grüne Wiesen durch den Wald, und nur wenig wird das Wild hier durch Wanderer in seiner Einsamkeit gestört. Erst im Herbst wird die Stille der Wälder durch das Röhren der Hirsche unterbrochen, und selten fällt dann wohl mal ein Schuß. Im Winter zieht das Rotwild in Rudeln zu den Fütterungen durch den kahlen Buchenwald, um dann im Frühjahr wieder die Dickungen aufzusuchen.

Lang streckt sich am Ostrand der Schorfheide der Werbellinsee. Wandert man hier die Straße am See entlang, so kommt man dicht an dem Jagdhaus des Reichspräsidenten vorbei, doch sehen kann man es nicht, so versteckt liegt es in einem dichten Kiefernwald auf einer großen, weit in den See ragenden Halbinsel. Warum sollten auch alle Wanderer hineinsehen können? Das ist ja nicht der Zweck. Denn der Feldmarschall will hier ungestört die wenigen Tage des Sommers verbringen können, die ihm vergönnt sind, sich bei Ausübung des Weidwerks zu erholen.

Hat man das unscheinbare im Drahtzaun liegende Tor durchschritten und auf einem dunklen Waldweg eine kleine Anhöhe erstiegen, steht man plötzlich vor dem Blockhaus mit seinem blauleuchtenden Dach und seinen grünen Fensterläden. Von der geräumigen Veranda gleitet der Blick hinab auf die blanke Fläche des Sees und seine fernen waldigen Ufer. Rings um das Haus breiten sich grüne Rasenflächen, Staudenblumen blühen in allen Farben, hohe schlanke Kiefern überragen das Dach.

Durch die breite offene Glastür der Veranda gelangt man in das Innere des Hauses, in die große Diele. An den Wänden hängen Jagdbilder, dazu einige Geweihe und Gehörne. In der Mitte unter einem großen Kronleuchter aus Abwurfstangen steht ein schwerer tisch mit einfachen Holzstühlen, am Kopfende der Lehnstuhl des Feldmarschalls. Von hier kann er auf die weite Wasserfläche schauen. Ab und an gleiten Boote vorüber. Still liegt die Natur im Zauber wechselnder Bilder. „Ja,“ so erzählt der alte Förster, der hier das Haus bewacht, „seine Augen sind immer hier hinausgerichtet. Er liebt die stillen Bankplätze der Halbinsel, wo er seinen Blick weit in die ferne richten kann.“

Die Räume des Hauses sind sonst klein und eng, einfach eingerichtet, in freundlichen hellen Farben gehalten. Eine Holztreppe mit einem balkonartigen Umgang in der Diele führt zu den oberen Schlaf- und Gästestuben. Unten liegt das Arbeitszimmer Hindenburgs. Hier hält er seinen gewohnten Mittagsschlaf, bevor er am Abend zur Jagd in die Heide fährt. Denn oft steht er schon früh um 4 Uhr auf. Trotz seines Alters überwindet seine Jagdleidenschaft alle Schwierigkeiten. Gewöhnlich aber erhebt er sich um 8 Uhr, frühstückt dann und geht am Vormittag einige Stunden in den herrlichen Wäldern der Schorfheide spazieren. Abends bringt ihn dann ein Wagen in die fernen teile des Forstes. Meist unter der Führung des Hegemeisters oder des Oberförsters wird gepirscht, das Wild beobachtet, – selten nur spricht die Büchse. Der Wildbestand in der Schorfheide erfreut sich besonderer Pflege und Hege, und die Geweihe der Hirsche zeigen hier eine auffallend starke und edle Form. Der Feldmarschall schoß hier mehrere kapitale Vierzehnender. Meist konnte er sie von der Kanzel aus mit sicherer Hand strecken. Nur manchmal war es schwieriger für ihn, den beim Rudel stehenden Platzhirsch anzupirschen, um ihn die Kugel antragen zu können.

Hindenburg war immer ein passionierter Weidmann. Nachdem er 1911 seinen Abschied genommen, konnte er sich nun mehr der Jagd widmen als während seiner Offizierslaufbahn. Sein Schutzbuch, das er persönlich und sehr genau führt, zeigt denn auch eine erhebliche Zunahme an Eintragungen in den letzten Jahren. War es ihm doch vergönnt, manch kapitales Wild zu jagen und selbst einen Wisentbullen und einen starken Elchschaufler zu erlegen! Nun hat er sich ganz dem König der deutschen Wälder, dem Rothirsch zugewandt. Daneben übt er nur noch die Jagd auf Gemsen im Hochgebirge aus, wozu er sich die Gelegenheit während seines Sommerurlaubs nimmt. Mit einer bewundernswerten Rüstigkeit und Frische überwindet er die Anstrengungen des Steigens. Fast jeden Morgen und Abend geht es hoch hinauf in die Berge zur Pirsch auf die Gams. Sein Blockhaus in der Schorfheide besucht er öfters im Laufe des Sommers. Seine Hirsche kann er nicht im Stich lassen. Immer neu ist die Freude an der Pirsch und an der Hege. Ansprechen und beobachten, das zieht ihn immer wieder ins Revier. Dann sucht er selbst aus, welcher Hirsch wohl zum Abschuss kommen muß; und manchmal schon im August, sonst im September zur Brunftzeit, wo er längere Zeit im Jagdhause wohnt, genießt er in den weiten Forsten hohes Weidmannsheil.

Oft spricht der Feldmarschall davon, wie viel Freude es ihm macht, hier draußen ganz alleine sein zu können in der stillen Natur, nur begleitet von seinem Sohn und seiner Schwiegertochter; für mehr Menschen hat das Haus kein Platz. Und das ist auch gut so! Denn er sucht ja die Ruhe hier nach den anstrengenden, arbeitsreichen Tagen im Berliner Palais. Dort hat er nur einen kleinen Garten, wo er etwas auf- und abgehen kann, hier aber kenn er ungestört wandern, weit in den Wald zu all dem Schönen, was die Natur offenbart, denen, die sie zu sehen vermögen mit Auge und Herz.

Voriges Jahr konnte er noch seinen Geburtstag hier verleben. „Doch dies Jahr,“ so sagte er zu seinem Hegemeister. „muß ich zu meinem Geburtstagsjubiläum nach Berlin, aber dann komme ich gleich wieder.“

Möge ihn das Jagdhaus am Werbellinsee noch manchen Sommer beherbergen, noch manchen Herbst, wenn der Schrei seiner Hirsche sein altes Weidmannsherz höher schlagen läßt, wenn der Wald ihn umfängt, der ihm Freude spendet und immer wieder junge Kraft!